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Wie variabler Fokus mit Corning Varioptic Liquid Lenses realisiert werden kann

Martin Klahr
Von

In Embedded Vision Projekten für professionelle Anwendungen werden gerne S-Mount-Objektive (auch M12-Objektive genannt) eingesetzt. Diese Objektiv-Bauform vereint eine kompakte Größe mit guter Abbildungsqualität bei günstigem Preis.

Häufig kann dabei ein Fixfokus-Objektiv eingesetzt werden. Dieses Objektiv wird einmalig bei der Produktion oder Montage auf eine feste Entfernung scharf gestellt und dann fixiert – daher der Name.

Das funktioniert hervorragend, wenn das aufzunehmende Objekt sich in einer festen Entfernung vor der Kamera befindet oder wenn die Schärfentiefe genügend groß ist, dass das Objekt im gewünschten Entfernungsbereich scharf abgebildet wird. Letzteres ist besonders bei großem Objektabstand und bei Weitwinkel-Objektiven gegeben.

Was tun, wenn ein Fixfokus-Objektiv nicht ausreicht, also die Schärfe in der Applikation nachgeführt werden muss? Hier ist der Einsatz von elektrisch verstellbaren S-Mount-Objektiven wie den Corning® Varioptic® Lenses eine elegante Lösung.

phyCAM VM-020 mit Corning Varioptic Liquid-Lens

Bild1: phyCAM VM-020 mit Corning Varioptic Liquid-Lens

Wie funktioniert eine Liquid Lens?

Das Grundprinzip einer Flüssiglinse nutzt den Effekt des Electrowetting. Dieser Effekt tritt auf, wenn man einen Tropfen einer nichtleitenden Flüssigkeit (z. B. ein Öltropfen) auf eine flache Oberfläche aus einem leitfähigen Material aufbringt, die mit einer isolierenden und hydrophoben Schicht bedeckt ist, und sowohl der Tropfen als auch die Oberfläche in eine leitfähige Flüssigkeit taucht.

Legt man nun eine Spannung zwischen dem leitfähigen Substrat und der leitfähigen Flüssigkeit an, lässt sich die Form des Flüssigkeitstropfens in Abhängigkeit der Spannung verändern (Bild 2).

Formänderung eines Öltropfens durch Electrowetting_1

0V

Formänderung eines Öltropfens durch Electrowetting_2

60V

Formänderung eines Öltropfens durch Electrowetting_3

90V

Bild 2: Formänderung eines Öltropfens durch Electrowetting (Quelle: Coming)

Corning® Varioptic® Liquid Lenses nutzen dieses Prinzip, um durch einen geeigneten Aufbau eine optische Linse zu erzeugen, deren Brechungsindex durch elektrische Spannung variierbar ist (Bild 3):

Aufbau-einer-Liquid-Lens_Divergente-Linse

Divergente Linse

Aufbau-einer-Liquid-Lens_Flache-Linse

Flache Linse

Aufbau-einer-Liquid-Lens_Konvergente-Linse

Konvergente Linse

Bild 3: Aufbau einer Liquid Lens

Im Vergleich zu anderen Optionen der Fokussteuerung bietet diese Technologie viele Vorteile:

  • kompakte Baugröße
  • keine mechanisch bewegten Teile, dadurch hohe Lebensdauer, kein Betriebsgeräusch
  • sehr hohe Fokussiergeschwindigkeit
  • hohe Robustheit gegenüber Vibration und mechanischem Schock
  • kurze minimale Objektdistanz (MOD)
  • geringe Stromaufnahme
  • auch in kleinen Serienstückzahlen einsetzbar

Für den Einsatz in Embedded Vision Projekten sind die Corning® Varioptic® Liquid Lenses in S-Mount-Objektive mit Brennweiten von f=2,6 mm bis f=15,8 mm erhältlich. Sie können wie herkömmliche Fixfokus-Objektive in den S-Mount-Halter der phyCAM Board Level Kameras von PHYTEC eingeschraubt werden und sind damit praktisch sofort einsatzfähig.

S-Mount Liquid Lens C-S-25H0-096 mit f=9,6 mm EFL

Bild 4: S-Mount Liquid Lens C-S-25H0-096 mit f=9,6 mm EFL

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Ansteuerung leicht gemacht

Corning® Varioptic® Liquid Lenses benötigen zur Ansteuerung eine Wechselspannung von bis zu 60 VRMS. Die Höhe dieser Spannung sollte per Software veränderbar sein, damit das System den Fokuswert einstellen kann.

Um die Integration der Ansteuerung zu vereinfachen, ist bei der neuen PHYTEC Board-Level-Kamera VM-020 eine entsprechende Treiberschaltung bereits integriert. Das Liquid-Lens-Objektiv kann direkt am Kameramodul angeschlossen werden. Die Ansteuerung der Fokusposition erfolgt über den I²C-Bus des phyCAM-M – Interfaces.

Anwendersoftware oder Systemroutinen können so durch Setzen eines Registerwerts die Schärfeeinstellung vorgeben. Kameramodule mit phyCAM-L-Interface besitzen eine Vorbereitung für die Integration von Liquid Lenses: Jedes phyCAM-L Modul besitzt einen Expansion-Connector, über den auf einfache Weise die Ansteuerschaltung nachgerüstet werden kann.

 

Technische Umsetzung des Autofokus: Closed Loop

Die Einstellung des Fokus kann nun entweder manuell oder automatisch erfolgen. Zur automatischen Fokusregelung (Autofokus) wird eine geschlossene Regelschleife benötigt, die zwei charakteristische Funktionsblöcke besitzt.

Im ersten Schritt muss aus den Bilddaten ein Wert für die aktuelle Schärfe des Bilds ermittelt und daraufhin in Schritt zwei ein Stellwert für den Objektivfokus bestimmt werden. Zur Ermittlung eines die Bildschärfe repräsentierenden Parameters werden häufig Verfahren eingesetzt, die auf die eine oder andere Art auf dem Detail- oder Kontrastvolumen der Szene aufsetzen.

Dabei wird vereinfacht gesagt von der Annahme ausgegangen, dass bei einem scharfen Bild der Kontrastumfang höher ist als bei einem unscharfen Bild. Aufgabe des nachgeordneten Regelalgorithmus ist es, den Betrag des Schärfeparameters zu maximieren.

Im Gegensatz zu vielen anderen Regelaufgaben gibt es hier jedoch in der Regel keinen absoluten Sollwert. Der Maximalwert des Schärfeparameters ist oft stark von der Szene abhängig: Eine optimal scharf gestellte Szene mit mittlerem Detailumfang (z. B. eine Wüstenlandschaft) mag einen geringeren Schärfewert besitzen als eine mäßig scharfe Abbildung einer detailreichen Szene wie beispielsweise eines QR-Codes.

Eine Herausforderung bei der Implementierung eines Autofokus ist daher, die unvermeidbaren Überschwinger bei der Suche des Maximums des Schärfewerts möglichst gering zu halten. Eine andere ist, nicht auf lokalen Maxima hängenzubleiben, welche z. B. durch detailreiche Abschnitte des Hintergrunds entstehen können. Nicht zuletzt spielen die Dynamik der Szene, die erwartete Regelgeschwindigkeit und die Nachstellgeschwindigkeit des Objektivs eine Rolle.

Von Corning ist ein speziell auf die Eigenschaften der Varioptic® Liquid Lenses abgestimmter Regelalgorithmus verfügbar, der in eigene Applikationen implementiert werden kann.

Die Bestimmung des Schärfewerts kann beispielsweise der Image Signal Processor (ISP) des NXP  i.MX 8M Plus auf dem phyCORE übernehmen. Dieser stellt einen die Bildschärfe repräsentierenden Wert (AF Statistics) zur Verfügung, ohne dass dafür die CPU mit Rechenoperationen belastet würde.

Bild 5 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines Autofokus-Systems bestehend aus einer phyCAM Board-Level-Kamera mit integriertem Liquid-Lens-Treiber und einem phyCORE – Prozessormodul.

Blockschaltplan-Liquid Lens - small

Bild 5: Blockschaltbild eines Autofocus-Systems mit phyCAM-Kameramodul und phyCORE-Prozessormodul

Fazit: PHYTEC Embedded Vision mit Corning Liquid-Lens

Der Einsatz von Liquid Lenses ermöglicht auf einfache Weise den Aufbau eines professionellen Embedded Vision – Systems mit variabler Fokuseinstellung.

Corning® Varioptic® Liquid Lenses können als Drop-In - Replacement anstelle herkömmlicher Fixfokus-S-Mount-Objektive eingesetzt werden. phyCAM – Board Level Kameras von PHYTEC wie die VM-020-M besitzen optional bereits die Treiberschaltung, um die Liquid-Lens anzusteuern.

Die phyCAM-L – Serie lässt sich über den Expansion-Connector entsprechend nachrüsten. Für den Anwender ergibt sich damit bereits eine einfache Möglichkeit, den Fokus mittels I²C-Kommandos per Software zu steuern. Eine Autofokus-Funktion lässt sich durch frei verfügbare Regelalgorithmen implementieren.

Einige Prozessoren wir der i.MX 8M Plus von NXP oder der TI AM 68x/TDA4 sind mit einem integriertem Image Signal Prozessor (ISP) ausgestattet, welcher die benötigten Statistikdaten zur Schärfe berechnet. So kann eine Autofokus-Regelung weitgehend ohne CPU-Last realisiert werden.

 

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